Donnerstag, 21. November 2019

Von Windows zu Linux zu Windows


Ein vor einigen Tagen veröffentlichter und lesenswerter Text beginnt mit dieser Einleitung:

Aus Ärger über Microsoft stieß er den Wechsel der Stadt München auf Linux an. Kaum schied er aus dem Amt des Oberbürgermeisters, wurde Limux rückgängig gemacht. Christian Ude über Seelenmassage von Ballmer und Gates, die industriefreundliche CSU, eine abtrünnige Grüne und umfallende SPD-Genossen.

Der auf diese Einleitung folgende Text behandelt ein Computer-Projekt, nämlich den Umstieg des Betriebssystems von Windows auf Linux, entsprechend auch den Wechsel der Anwendungssoftware von Microsoft Office auf quelloffene Software. Und auf diesen Text möchte ich weiter eingehen.

München befindet sich im Umbruch, auf jeden Fall in Fragen der IT. Bei (heute) über 15.000 PCs ist so etwas eine anspruchsvolle Aufgabe, die auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, durchaus kontrovers. Die Stadt München ging nämlich den Weg von Windows weg und hin zu Linux, also zu quelloffener Software, was nicht jedem in dieser Welt gefiel. Und so verwunderte es nicht, daß es plötzlich hies "Kommando zurück", man also nach Dreiviertel des Weges wieder weg von Linux und zurück zu Windows ging.

Vor einigen Tagen hat Christian Ude ein Interview gegeben, in dem er seine Sicht der Vorkommnisse darstellte. Aus diesem Interview möchte ich zitieren und eigene Anmerkungen dazu machen. Sofern nicht anders angegeben stammen, die hier Zitate aus dem Interview mit Christian Ude, das Sie hier finden: Münchens Ex-OB Christian Ude im Interview oder "Es gab bei Limux keine unlösbaren Probleme". In allen anderen Fällen gebe ich die Quellen an.


Christian Ude

Christian Ude ist heute Rentner, in seiner beruflichen Zeit war er u.a. Oberbürgermeister von München. Seinen Lebenslauf finden Sie auf dieser Seite der Wikipedia: Christian Ude.

Wäre er nicht in die aktive Politik gegangen, wäre er sicherlich ein guter Kabarettist geworden:



LiMux

Der Wechsel der Software von Windows hin zu Linux betraf nicht nur den Austausch des Betriebssystems sondern auch die Anwendungssoftware, die auf quelloffene Produkte umgestellt werden sollte. Die ersten Schritte dazu gehen zurück in das Jahr 2003. Die Geschichte dieses Projekts können Sie hier nachlesen: LiMux – Die IT-Evolution. Und natürlich gab es für dieses Projekt auch ein entsprechendes Logo1):


Im September 2017 wurde dann der Beschluss gefasst, wieder zurück auf Windows zu gehen, was im Jahre 2020 abgeschlossen sein soll.


Interview mit Christian Ude

Vor einigen Tagen fand sich in der Zeitschrift Linux Magazin das bereits erwähnte Interview mit Christian Ude, in dem er seine Meinung über den Wechsel von Windows zu Linux und von Linux zurück zu Windows äusserte. Aus diesem Interview möchte ich einige Sätze zitieren und auch kommentieren.

Konkreter Anstoss war eine Diskussion über die Firma Microsoft, die die Stadt München quasi gezwungen hatte, ihre IT-Landschaft ziemlich komplett umzustellen:

Ich habe mich nur maßlos geärgert, dass Microsoft plötzlich den Support zurückzog und die Landeshauptstadt München damit zwang, einen Wechsel zu bezahlen, für den sie sich als Kundin gar nicht aus freien Stücken entschlossen hatte.
....
Sie haben uns als Kunde mit einer fünfstelligen Zahl von Geräten einfach vor die Alternative setzt „Friss oder stirb!“ – friss unseren Wechsel und zahle oder stirb mit alten Geräten, für die es keinen Support mehr gibt.

Eine Entscheidung, getroffen im Staate Washington der USA, mit Auswirkungen und Kosten in München (und nicht nur dort).


Abhängigkeiten

Solche Abhängigkeiten haben wir im IT-Bereich sehr viele. Und nur wenige bewerten diese Abhängigkeiten kritisch:

Wir haben die methodische Abhängigkeit von einem Anbieter kritisch gesehen und auch die Datensicherheit, die ja bei Microsoft sehr umstritten war und in der Fachwelt noch umstritten ist.


Verhandlungen

Um München als Kunden zu halten war die Firma Microsoft zu erheblichen Zugeständnissen bereit, denn das LiMux-Projekt schlug in der Öffentlichkeit grosse Wellen.

Steve Ballmer

Steve Ballmer war einer der ersten Angestellten der Firma Microsoft, er hat dort Karriere gemacht. Zum hier betrachteten Zeitpunkt war er der Geschäftsführer dieses Unternehmens.

Das Intensivste, was ich persönlich erlebt habe, war ein Besuch von Steve Ballmer, immerhin Vizepräsident von Microsoft. Der hat seinen Ski-Urlaub in der Schweiz unterbrochen, um mich zu besuchen.
....
Laufend wurden die um eine Million und noch eine Million und noch eine Million und später ein Dutzend Millionen günstiger als zuvor.

Das Unternehmen Microsoft hatte im Jahre 2003 über 30 Milliarden-$ Umsatz2), war also damals bereits keine kleine Klitsche. Dies zeigt, wie wichtig für die Firma Microsoft die Verhinderung des Projekts LiMux war.


Kosten

Software kostet Geld. Und bei einer Stadt mit einer Verwaltung wie in München sind dies über Zehntausend Computer und entsprechend viele Lizenzen für die Software auf diesen Computern. Und natürlich kann man über Geld reden:

Im Winter 2003 reiste Steve Ballmer, Chef von Microsoft, nach München, um mit Oberbürgermeister Christian Ude über das Angebot seiner Firma in Höhe von 36,6 Millionen US-Dollar und die Nachteile eines Abschieds von Microsofts Betriebssystem zu sprechen. Er senkte den Preis zunächst auf 31,9 und dann auf 23,7 Millionen – sein Angebot wurde jedoch abgelehnt.

Quelle: Wikipedia zu LiMux, Absatz Geschichte. Dort wird verwiesen auf einen Artikel in USA TODAY

Bei der Höhe des Betrags darf man nicht vergessen, daß es nicht um die Weiterführung der Lizenzen ging. In München stand der Wechsel auf eine neuere Version von Windows und der Anwendungssoftware an, wobei vermutlich (mind.) eine Version übersprungen wurde. Dies erklärt die Höhe des Betrages3).


Bill Gates

Bill Gates war einer der Gründer der Firma Microsoft. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen zwischen Microsoft und der Stadt München war er der Vorsitzende des Aufsichtsrats. Auch er war in München für Verhandlungen mit dem Ziel, Christian Ude das Projekt LiMux auszureden. Das Gespräch gibt Christian Ude auszugsweise wie folgt wieder:

Christian Ude: „Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, es geht uns um die Unabhängigkeit. Wir wollen nicht abhängig sein.“
Bill Gates: „So ein Unsinn, von wem denn abhängig?“
Christian Ude: „Weil Sie schon mal da sind: Von Ihnen natürlich!“
Bill Gates: „Es ist für mich unbegreiflich, das ist Ideologie.“

Sie sehen, daß es in dieser Frage unterschiedliche Sichtweisen gibt.


Digitale Souveränität

Mittlerweile läuft in München der Rückbau der Software auf Windows. Die Abhängigkeit von Microsoft und somit das Thema Digitale Souveränität ist aber in den höheren Ebenen der Politik angekommen:

Datensouveränität ist höchstes Gebot

Beim Digitalgipfel der Bundesregierung in Dortmund hat sich Bundeskanzlerin Merkel für Datensouveränität und europäische Lösungen bei digitalen Infrastrukturen ausgesprochen.

Quelle: Digitalgipfel in Dortmund vom 29. Oktober 2019

Diese Erkenntnis führt aber nicht dazu, daß in München jetzt vielleicht doch wieder über Linux nachgedacht wird.

Die Abhängigkeit von ausländischen Unternehmen (und in diesem Fall von einem US-amerikanischen Unternehmen) bleibt bestehen. Aktuell gab es folgenden Hinweis:

Microsoft warnt vor Support-Ende des Server 2008, rät zum Cloud-Umzug

Ab dem 14. Januar stehen Nutzer des Server 2008 und 2008 R2 nackt da: Microsoft stellt den Support für beide Betriebssystem ein.

Quelle: Heise Online vom 15.11.2019

Auch hier wird die Entscheidung für eine Aktion in den USA in einem privaten Unternehmen getroffen, die vielfältige Auswirkungen in Deutschland hat. Und Microsoft bietet auch gleich eine Lösung des entstehenden Problems an, natürlich das eigene Produkt.


Wiesbaden

Die Abhängigkeit von Produkten des Unternehmens Microsoft ist auch in der Stadtverwaltung und -politik Wiesbadens gegeben. Sieht man in der Stadtpolitik diese Abhängigkeit? Welche im Stadtparlament vertretene Partei stellt eine entsprechende Forderung auf? Mir ist da nichts bekannt.

Wäre ein Projekt "Umstieg der Software von Windows auf Linux" in Wiesbaden möglich? Ich denke nicht, denn bei der Behäbigkeit der Stadtverwaltung und der Stadtpolitik würde es teuer, schlecht und nie fertig. Ausserdem fehlt der politische Wille dazu.


Nachtrag

Mittlerweile geriert sich Microsoft als der größte Fan von Linux:

Beginning with Windows Insiders builds this Summer, we will include an in-house custom-built Linux kernel to underpin the newest version of the Windows Subsystem for Linux (WSL)

Quelle: Microsoft will ship a full Linux kernel in Windows 10

Wenn Sie schon Linux haben wollen, dann kaufen Sie das doch bitte bei uns.



Anmerkungen:
1) Zu finden hier
2) Quelle: Statista