Sonntag, 5. April 2020

Berechnungen (revisited)


"Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit", so sagte es vor langer Zeit einmal ein deutscher Politiker.

In meinem letzten Text hatte ich versucht, einige Berechnungen zur aktuellen Pandemie durchzuführen und dabei auch eine Hochrechnung versucht1). Nach etwa einer Woche ist es an der Zeit, diese Zahlen zu aktualisieren und die Vorhersagen mit der Wirklichkeit abzugleichen.


Vorbemerkung

Ich will mit dieser Darstellung keine Panik erzeugen, einfach nur auf der Basis der verfügbaren Zahlen eine Berechnung wagen.

Wie bereits mehrfach im Blog erwähnt bin ich offen für Hinweise auf Fehler.


Aktualisierung

Hier finden Sie die (alte) Kurve der erkrankten Personen aus meinem vorigen Text, fortgeschrieben bis zum 4.04.2020:


In rot sehen Sie die theoretische Zahl der Erkrankten, errechnet aus der offiziellen Zahl der Erkrankten vom Vortag und gerechnet nach der Formel, die ich in meinem letzten Text1) dargestellt hatte. In blau sehen Sie die offizielle Zahl der Erkrankungen, basierend auf den Zahlen der Johns Hopkins Universität.

In der Grafik sehen Sie, wie sich die blaue und die rote Kurve am Ende voneinander entfernen. Um einmal Schulstoff aufzufrischen: In der blauen Kurve ist die zweite Ableitung jetzt negativ. Dies ist eine gute Nachricht, auch wenn die Zahlen immer noch steigen.

Es ist somit an der Zeit, die Berechnung zu aktualisieren.


Kontaktverbot

Mit dem 22.3.2020 gibt es in Deutschland ein Kontaktverbot. Nach den bisher vorliegenden Informationen dauert es ca. 8-10 Tage, bis nach einer Infektion die Krankheit ausbricht, so daß man jetzt allmählich erkennen sollte, ob das Kontaktverbot greift, d.h. ob die Zahl der Ansteckungen/Erkrankungen zurück geht.

Dieses Kontaktverbot könnte den Abstand zwischen roter und blauer Kurve erklären. Möglich sind aber auch andere Ursachen wie ausgeschöpfte Testkapazitäten oder sonstige Fehler.


Anpassung der Berechnung

Aus den Zahlen der Johns Hopkins Universität ergibt sich eine Verdopplung der Fallzahlen innerhalb von 8 Tagen. Dies ist eine schlechte Nachricht, denn es bedeutet ca. 180.000 Erkrankte in einer Woche. Es ist aber auch eine gute Zahl, denn vor wenigen Tagen hatten wir noch eine Steigerungsrate von +30%, dies entspricht einer Verdopplung innerhalb von 3 Tagen (und somit eine Vervierfachung innerhalb einer Woche, das wären dann ca. 350.000 Erkrankungen).

Also passe ich meine Berechnung an. Bisher habe ich mit einen Wert 1,3 für den Faktor C in der Formel gerechnet, aber ab dem 23.3.2020 (=ab diesem Tag gilt das Kontaktverbot) rechne ich mit der gleichen Formel, aber einem Wert von 1,1 für die Größe C weiter. Und so sieht das dann aus:


Sie erkennen den Unterschied zwischen einem Faktor 1,3 und 1,1.

In rot sehen Sie die Entwicklung mit dem Wert 1,3 (=Stand der Entwicklung der Zahlen vor dem 22.3.2020), in gelb sehen Sie die Entwicklung mit dem Wert 1,1 und in blau die jeweils gemeldeten Zahlen. Den Unterschied sehen Sie deutlich, die gelbe Kurve passt wesentlich besser zur Entwicklung.


Neue Vorhersage

Ab dem 22.3.2020 möchte ich die offiziellen Zahlen und die sich daraus nach meinem Modell ergebenden errechneten Zahlen gegenüberstellen:


Die offiziellen Zahlen enden mit dem 4.04.2020, die theoretischen Berechnungen habe ich weitergeführt über etwa eine Woche in die Zukunft.

Wichtig für die Beurteilung der Entwicklung ist die Zahl der neu hinzukommenden Fälle. Aus diesen bestimmt sich dann die vermutete Anzahl an Patienten in den Krankenhäusern und im Extrem die Zahl der Patienten, die eine Behandlung auf der Intensivstation benötigen. Sofern die Kurve mit dieser Rate weiterhin ansteigt, kommen große Probleme auf unser Gesundheitssystem zu. Dies gilt auch für die neue Rechnung.


Bewertung

Das sieht weiterhin nicht gut aus, auch wenn es etwas Hoffnung zu geben scheint.


Stochastischer Prozess

Das mathematische Modell zur Berechnung einer solchen Pandemie nennt sich Stochastischer Prozess, wobei die Methoden dieses Gebiets nicht auf Pandemie-Berechnungen beschränkt sind. Ich möchte jetzt aber keine langen Ausführungen zu diesem Begriff machen, sondern an einem kleinen praktischen Beispiel einen solchen Prozess vorstellen. In der Washington Post erschien vor einigen Tagen ein Text, der die Entwicklung einer Pandemie anschaulich darstellt. An einem fiktiven Ort mit 200 Einwohnern wurde gezeigt, wie sich eine solche Krankheit ausbreitet. Als Krankheit hat man sich eine Krankheit ausgedacht und dieser den Namen Simulitis gegeben, da sie für eine Simulation verwendet wird. Eine Person in diesem Ort wird zufällig ausgewählt, für krank erklärt und bewegt sich innerhalb des Ortes frei. Bei einem Zusammenstoss mit einer anderen Person wird die Krankheit übertragen.

Hier finden Sie diesen Artikel, der in mehreren Sprachen verfügbar ist: Warum Ausbrüche wie das Coronavirus sich exponentiell ausbreiten, und wie man „die Kurvenlinie glätten“ kann.

In der Simulation dargestellt werden 4 Alternativen:
  • nichts tun
  • Abriegelung eines Teils
  • soziale Distanz: mäßig
  • soziale Distanz: rigide

Diesen Text möchte ich Ihnen empfehlen, die Probleme in dieser Pandemie werden sehr deutlich beschrieben.


Alternative

Welche Alternativen zu unserem jetzigen Verhalten in dieser Pandemie gibt es? Viele Menschen kommen mit Vorschlägen, teils absurd, teils verrückt, manche überdenkenswert. Bemerkenswert fand ich diesen Vorschlag2):


Wir haben jetzt Anfang April. Welche alternative und zielgenauere Strategie schlagen sie vor, Herr Habeck? Oh, ich sehe, diese Strategie soll erst noch entwickelt werden. Bis wann liegt diese Strategie vor? Und was macht das Virus in der Zwischenzeit?

Geschwätz.


Harald Lesch

In einer Sendung aus der Reihe Terra X befasste sich Harald Lesch mit dem Thema Corona. Daraus möchte ich folgende Aussagen zitieren:

Jetzt zeigt sich die große Bedeutung von Grundlagenforschung. Die immerwährenden Kritiker an diesem absolut notwendigen Mechanismus der Durchdringung der Fundamente des Bildes von der Materie und ihrer Verwandlungsfähigkeit werden jetzt eines besseren belehrt. Wir stehen doch alle vor den Toren der Laboratorien und warten darauf, daß der Ruf erklingt "Heureka, wir haben es" . Und mit einer unabhängigen Wissenschaft, die nicht auf den unmittelbaren Erfolg ausschaut sondern mit Geduld, Sorgfalt und Hartnäckigkeit bei der Suche bleibt, werden wir dieses Mittel auch finden.

Nach Jahren des Mißtrauens, ja der offenen Verachtung von wissenschaftlichen Methoden und Institutionen spüren wir jetzt, was für einen grandiosen Schatz wir an der Art und Weise haben, wie Forschung und Wissenschaft die Natur durchdringen und die Abläufe und Prozesse dort verstehen. Wissenschaft und Forschung waren uns noch nie so nah. Ich bin so froh, daß wir den Quacksalbern, Maulhelden und anderen Wissenschaftsverächtern jetzt die kalte Schulter zeigen, sie ignorieren. Wir spüren, daß wir in dieser Krise, die ohne Vergleich ist, denen vertrauen können, die Ahnung haben, die wissen, wovon sie reden. Wir spüren, daß diese Personen systemrelevant sind, Wissenschaft und Forschung sind systemrelevant. Von nun an muß die Wissenschaft zur Daseinsvorsorge gehören. Im Ernstfall zählt nicht der unmittelbare Erfolg. Da zählen Geduld, Sorgfalt und Qualität. Und Respekt vor einer Natur, die viel älter ist als wir, ohne die wir aber nicht leben können. Das sollten wir nie wieder vergessen.

Quelle: Corona - was weiß die Wissenschaft (sinngemäß zitiert)



Anmerkungen: