Donnerstag, 23. April 2020

Berechnungen (mit social distancing)


Seit etwa 5 Wochen bestehen die Maßnahmen zu Kontaktverbot (social distancing). Greifen diese Maßnahmen? Und was bedeutet dies für die nächsten Wochen und Monate? Es ist also an der Zeit, die Zahl der mit Coronavirus Infizierten erneut anzusehen und mit meinen eigenen Berechnungen abzugleichen, diese Berechnungen möglicherweise zu korrigieren.


Vorbemerkung

Ich bin kein Biologe oder Mediziner, kein Virologe oder Epidemiologe oder sonst etwas in dieser Richtung. Ich bin nur Software-Entwickler, aber ich möchte mir die bekannten Daten ansehen, analysieren und einige Anmerkungen dazu machen.


Aktualisierung

Hier sehen Sie die Zahl infizierter Menschen in Deutschland bis zum 23.04.2020:



Exponentielles Wachstum

In einem früheren Text hatte ich diese Kurve beschrieben als exponentielles Wachstum. Streng genommen ist diese Aussage falsch, auch wenn es überall so bezeichnet wird und auch von mir so bezeichnet wurde. Denn die Kurve der Zahl der infizierten Personen wächst idealtypisch in dieser Form:


Diese Kurve nennt man eine Sättigungskurve, denn mehr als alle Bürger in Deutschland kann das Virus nicht anstecken. Allgemein nennt man dies eine logistische Funktion und Wikipedia schreibt dazu:

Die logistische Funktion (...) beschreibt den Zusammenhang zwischen der verstreichenden Zeit und einem Wachstum, beispielsweise einer idealen Bakterien­population. Hierzu wird das Modell des exponentiellen Wachstums modifiziert durch eine sich mit dem Wachstum verbrauchende Ressource – die Idee dahinter ist also etwa ein Bakteriennährboden begrenzter Größe.

Quelle: Text zu Logistische Funktion in der Wikipedia

Und was in diesem Text als Bakteriennährboden bezeichnet wird, das sind für das Corona-Virus die Menschen.

Zu Beginn lässt sich diese Kurve sehr schön durch ein exponentielles Wachstum beschreiben, weshalb der Verweis auf die Exponentialfunktion nicht falsch ist. Es ist halt nur eine Annäherung an diese Kurve, aber die Darstellung als Exponentialfunktion verdeutlicht das Wachstum sehr deutlich. In der Wikipedia finden Sie eine Darstellung der Exponentialfunktion inkl. einer Darstellung der Kurve, an der Sie die Unterschiede beider Kurven erkennen können.


Verdopplungszeit

In den Nachrichten wird immer der Begriff Verdopplungszeit erwähnt. Darunter versteht man die Anzahl Tage, in denen sich die Zahl der Fälle verdoppelt. In meinen früheren Texten hatte ich eine Prognose gewagt, und mit den bis zum 23.4.2020 vorliegenden Daten möchte ich meine früheren Prognosen darstellen, eine neue Berechnung anstellen und diese Kurven einander gegenüberstellen:

Versuch div. Prognosen
Verdopplung
in 3 Tagen
Verdopplung
in 7 Tagen
Verdopplung
in 23 Tagen

In den 3 Bildern wird die Entwicklung der Fallzahlen jeweils in blauer Farbe dargestellt, also der Zahl der positiv getesteten Menschen in Deutschland. Auf dieser Basis habe ich eine erste Berechnung durchgeführt, die von einer Verdopplungszeit von 3 Tagen ausging. Diese Kurve sehen Sie in roter Farbe im ersten Bild. Für einen bestimmten Zeitraum stimmten offizielle Fallzahlen und meine Berechnungen überein, aber Sie erkennen auch, daß die beiden Kurven voneinander abweichen. Beginnend mit dem 22.3.2020 habe ich eine neue Berechnung durchgeführt und bin bei dieser Berechnung von einer Verdopplungszeit von 7 Tagen ausgegangen. Im zweiten Bild wird diese Kurve dargestellt in gelber Farbe. Auch hier erkennen Sie, daß diese Kurve die Entwicklung gut beschreibt, aber nach einigen Tagen von der realen Entwicklung abweicht.

Beginnen mit dem 3.4.2020 habe ich eine neue Berechnung durchgeführt und bin dabei von einer Verdopplungszeit von 23 Tagen ausgegangen. Diese Kurve wird in grün gezeichnet (siehe 3. Bild).

Anhand der Kurven erkennen Sie, daß eine Verlängerung der Verdopplungszeit eine gute Sache ist, auch wenn sie sich als Abweichung von meinen Prognosen darstellt (und ich mich somit geirrt habe).


Schachbrett

Sie kennen die Geschichte mit dem Schachbrett und dem Reiskorn? Auf das erste Feld wird ein Reiskorn gelegt, auf das nächste Feld dann 2, auf das nächste Feld dann 4, auf das nächste Feld dann 8 usw. Auf das letzte Feld kommen dann so viele Reiskörner, wie in dieser Welt innerhalb eines Jahres nicht geerntet werden. Auch hier spielt die Verdopplung eine Rolle, denn von Feld zu Feld wird jeweils die Anzahl Reiskörner verdoppelt.

In diesem Bild spielt aber die Zeit keine Rolle. Also führe ich jetzt die Zeit der Verdopplung ein: Von Feld zu Feld soll immer ein Tag vergehen. D.h. am ersten Tag wird ein Reiskorn auf ein Feld des Schachbrettes gelegt, am zweiten Tag zwei Reiskörner auf das nächste Feld, am dritten Tag dann 4 Reiskörner auf das folgende Feld usw. Das Auffüllen des kompletten Schachbrettes mit Reiskörnern würde in diesem Fall 64 Tage benötigen, wir habe in diesem Fall eine Verdopplungszeit von einem Tag.

Was ändert sich, wenn ich die Verdopplungszeit auf eine Woche verlängere? Nun, am Anfang wird ein Reiskorn auf ein Feld des Schachbrettes gelegt und danach wartet man eine Woche ab. Danach werden 2 Reiskörner auf das nächste Feld gelegt und wieder eine Woche gewartet. Im Ergebnis dauert der Vorgang nicht mehr 64 Tage (bei Verdopplungszeit von einem Tag) sondern jetzt 64 Wochen, also mehr als 1 Jahr. Ansonsten ändert sich nichts es wird die gleiche Menge an Reiskörnern benötigt.

Die Verdopplungszeit alleine sagt also noch nichts aus, auch wenn die Verlängerung der Verdopplungszeit in der Corona-Pandemie eine gute Sache ist, wie ich gleich darstellen möchte. Überträgt man das Beispiel mit dem Schachbrett auf die aktuelle Pandemie, dann werden immer noch praktisch alle Menschen erkranken, nur wird dies halt länger dauern.


Umstellung der Zahlen

Meine bisherigen Darstellungen bezogen sich auf die Gesamtzahl der Fälle. Darin enthalten sind dann auch Personen, die vielleicht Ende Februar positiv auf dieses Virus getestet wurde, aber mittlerweile (glücklicherweise) genesen oder (leider) verstorben sind. Für die aktuelle Betrachtung als auch für die Zukunft spielen diese Personen keine Rolle mehr, deshalb möchte ich sie aus meiner Betrachtung herausnehmen. Ich stelle somit die Betrachtung um auf die Zahl der neu hinzugekommen Fälle pro Tag:


Wer infiziert ist und bei dem die Krankheit ausbricht, der benötigt möglicherweise ein Bett im Krankenhaus und vielleicht sogar einen Platz auf der Intensivstation, im Extremfall mit maschineller Beatmung (ich habe mir sagen lassen, daß dies nicht sehr angenehm ist). Um die Zahl der benötigten Plätze im Krankenhaus bzw. auf einer Intensivstation abzuschätzen möchte ich auf dieses Bild von der Seite hessenschau.de verweisen:


Die Aufstellung stammt vom 9.4.2020 und errechnet sich aus den Daten, die bis zum 6.4.2020 vorlagen. Nach diesen Daten, die sich nur auf Hessen beziehen, waren etwa 80% aller Krankheitsverläufe relativ harmlos, denn die Patienten blieben zu Hause. In den übrigen 20% der Fälle wurden die Erkrankten in ein Krankenhaus eingeliefert. Etwa 5% dieser Patienten benötigten eine maschinelle Beatmung auf einer Intensivstation. Lassen Sie mich mit diesen Zahlen weiter rechnen.

Nun haben wir die Zahlen der neu infizierten Personen, aber diese Zahl ist für die nächste Berechnung leider (noch) nicht verwendbar. Eine Person, deren Infektion festgestellt wurde und die ins Krankenhaus eingeliefert werden muß, belegt dort ein Bett für mehrere Tage. Leider kann ich Ihnen keinen Beleg für eine entsprechende Zahl bringen, aber irgendwo fand ich die Zahl von 10 Tagen für die Dauer eines Krankenhausaufenthalts bei dieser Erkrankung. Somit müsste man die Zahl der neu Infizierten für einen Zeitraum von jeweils 10 Tagen aufaddieren, und das sieht dann so aus:


Zu Beginn der Pandemie in Deutschland gab es über 6.000 Neuinfektionen pro Tag. Bei einer Steigerung dieser Zahl, wie es sich aus obigen Prognosen ergab, stösst jedes Krankenhaussystem irgendwann an eine Grenze. Die Zahl der Plätze ist endlich, genauso wie die Zahl der in einem Jahr geernteten Reiskörner endlich ist, weshalb das Schachbrett nicht mehr mit Reiskörnern gefüllt werden kann. Somit würden bei einer Steigerung der Fallzahlen irgendwann die Betten in unseren Krankenhäusern nicht mehr ausreichen.


Bewertung

Die Zahl der täglich Neuinfizierten nimmt ab. Dies ist eine gute Entwicklung, denn so bekommen wir die Entwicklung unter Kontrolle. Zwar haben wir keine Medikamente für den Kampf gegen die vom Coronavirus ausgelösten Krankheiten, und insbesondere haben wir keinen Impfstoff, um Nichtinfizierte gegen Coronavirus zu immunisieren, aber bis zu einer gewissen Anzahl an Neuinfektionen haben wir Plätze in unseren Krankenhäusern und insbesondere auf den Intensivstationen. Steigt die Zahl der Neuinfektionen darüber, dann bekommen wir grosse Probleme.

Inwieweit die Kontaktsperre die Zahl der Neuinfektionen verringert vermag ich nicht zu beurteilen. Es scheint aber schon so zu sein.


Reproduktionszahl

Ein neuer Begriff taucht in der öffentlichen Diskussion auf: Reproduktionszahl. Liegt diese Zahl oberhalb von 1, dann verbreitet sich das Virus, liegt sie unterhalb von 1, dann "stirbt" das Virus allmählich aus.

Ein Mensch infiziert sich mit diesem Virus, woher auch immer. Nach einer gewissen Zeit bricht bei dieser Person die Krankheit soweit aus, daß diese Person das Virus auf andere Menschen übertragen kann. Auf wieviele Menschen kann er das Virus nun übertragen? Davon hängt die weitere Entwicklung ab.

Diese Entwicklung lässt sich schlecht an einer Person verdeutlichen, weshalb ich zur Verdeutlichung auf eine Gruppe von 100 Personen wechseln möchte. Stecken diese 100 Personen 105 weitere Personen an, so haben wir eine Reproduktionszahl grösser 1 und und die Zahl der im Krankenhaus benötigten Betten wächst. Steckt diese Gruppe aber 90 bisher Nichtinfizierte an, dann schrumpft die Zahl der Erkrankten und die Belastung für unser Gesundheitssystem nimmt zukünftig ab.

Auch bei einer Reproduktionszahl kleiner 1 wird die Zahl der Infizierten nicht abnehmen, denn diese Zahl beschreibt die Gesamtheit aller bis zum heutigen Tag infizierten Menschen. Aus dieser Zahl wird kein Fall entfernt, deshalb kann diese Zahl nicht sinken.

Bisher wurde mit der Verdopplungszeit argumentiert. Diese Zahl lag zu Beginn bei 3 Tagen, weshalb ich bei meiner ersten Berechnung mit einem Wert von 1,3 gerechnet habe. Bei der jetzigen Berechnung setze ich einen Wert von 1,03 an. Unabhängig vom Wert dieser Zahl bedeutet es aber immer eine Verdopplung. Nehmen wir eine Verdopplungszeit von einem Monat an und gehen von einem Stand von 150.000 Infizierten aus. Nach einem Monat wären dies dann 300.000 Infizierte, d.h. es wären 150.000 Personen neu hinzugekommen. Nach einem weiteren Monat wären dies dann bereits 600.000 Infizierte, d.h. im entsprechenden Monat wären 300.000 Personen neu hinzugekommen. Geht man von einer Verdopplungszeit von 3 Tagen aus, dann kollabiert unser Gesundheitssystem in wenigen Wochen. Streckt man diese Zahl auf 2 Monate, dann tritt der gleiche Effekt auf, nur sehr viel später. Daraus erkennen Sie, daß diese Zahl immer weiter gestreckt werden muß. Die Zahl der Neuinfizierten muß sinken, damit unser Gesundheitssystem nicht kollabiert. Und diesen Vorgang beschreibt die Reproduktionszahl.


Bundeskanzlerin Angela Merkel

Vor wenigen Tagen hat Frau Merkel versucht, diesen Vorgang zu erläutern:


Ich finde die Darstellung von Frau Merkel in der Sache richtig, in der Übermittlung aber reichlich verwirrend.