Freitag, 12. Februar 2016

Datenautobahn unter der Autobahn ?


Vor einigen Tagen erschienen in der Presse Artikel zum Thema Breitbandausbau in Deutschland. Herr Minister Dobrindt, zuständig für dieses Thema, hat einen Gesetzesentwurf vorgestellt, der Vorschläge zur Beschleunigung des Breitbandausbau enthielt. In diesem Text will ich darstellen, daß diese Vorschläge gut sind, aber nichts mit der veröffentlichten Ankündigung zu tun hat. Und daß diese Idee nicht von Herrn Dobrindt stammt.


In der Presse wurden diese Vorschläge von Herrn Dobrindt so dargestellt (eine kleine Auswahl):

Auf der Internet-Seite de Ministeriums wird Herr Dobrindt mit folgenden Worten präsentiert:
"DigiNetz-Gesetz schafft Voraussetzungen für die Gigabit-Gesellschaft"
"Dobrindt beschleunigt Glasfaser-Ausbau in Deutschland"

Quelle: Informationen des BMVI


Worum geht es ?

Es handelt sich um den Entwurf eines Gesetzes, das ist also noch lange nicht verabschiedet, und auch noch lange nicht umgesetzt. Und so begründet Herr Dobrindt als zuständiger Minister dieses Gesetz:
Quelle: siehe Anmerkung 1)

Klingt schon mal gut. So sieht das dann im Gesetz aus (ein Ausschnitt):
Quelle: siehe Anmerkung2)
Uh, solch ein Text ist nichts für mich, damit mögen sich Juristen beschäftigen.

Hat Herr Dobrindt eine gute Idee gehabt und diese Idee (endlich) umgesetzt? Im oben abgebildete Text wird aber auf das Europäische Parlament verwiesen.


Europa

Also schau ich bei der EU nach und finde die Quelle des obigen Gesetzentwurfs:
Quelle: siehe Anmerkung 3)

Ein Beschluß des Europäischen Parlaments. Und in diesem Beschluß findet man folgende Aussage:
Quelle: siehe Anmerkung 3)

Das Parlament schlägt in dieser Richtlinie "Maßnahmen zur Reduzierung der Kosten des Ausbaus von Hochgeschwindigkeitsnetzen für die elektronische Kommunikation" vor, und zwar insbesondere wegen der hohen Kosten des Breitbandausbaus:
Quelle: siehe Anmerkung 3)

Wie man sieht, hatte Herr Dobrindt keine eigene Idee, sondern er setzt um, was ihm par or­d­re du muf­ti vorgegeben wurde. Im Gesetzentwurf von Herrn Dobrindt findet sich auch dieser Satz:
Die Beibehaltung des jetzigen Rechtszustandes verstieße nicht nur gegen die Pflicht des deutschen Gesetzgebers, die Kostensenkungsrichtlinie umzusetzen.

Quelle: im Entwurf auf S. 2 im letzten Absatz
Es ist also eine Pflicht, der der Minister nachkommt.


Glasfaser unter der Autobahn ?

Im Gesetzentwurf von Herrn Dobrindt fand ich keinen Hinweis auf die Autobahn, das Wort kommt nicht vor4). Würde das überhaupt Sinn machen, Glasfaser unter der Autobahn zu verlegen?

Nein, das macht keinen Sinn. Es schadet aber auch nicht.

Autobahnen werden selten neu gebaut, häufiger dagegen repariert. Aber diese Reparaturen betreffen immer nur Teilstrecken, und wenn man bei jeder Reparatur einer Teilstrecke Glasfaser oder zumindest Leerrohre verlegen würden, hätten wir einen nicht zusammenhängenden Flickenteppich, der irgendwann in ferner Zukunft möglicherweise eine geschlossene Verbindung darstellen könnte. Und dann hätten wir ein Hochleistungnsetz? Und so lange müssten wir warten?


Backbone

Autobahnen sind Fernverbindungen, sie verbinden z.B. Den Haag mit Wien (A3) und Flensburg mit Füssen (A7), d.h. es gibt sie bereits. Für die Datenautobahn gibt es ähnliche Verbindungen; Firmen aus dem Bereich Telekommunikation, Kabelfernsehen, Energieversorger5) oder Logistik besitzen solche Netze bereits. Ohne diese Netze gäbe es kein Internet in Deutschland.

Diese Netze gibt es schon recht lange, hier finden Sie Beispiele solcher Netze:

Sie sehen, diese Leitungen sind bereits vorhanden, und sie sind überdimensioniert, glücklicherweise. Durch einfache Zuschaltungen lassen sich die Übertragungsraten beträchtlich steigern. Diese Strecken bezeichnet man als Backbone des Internets, und dazu hat Wikipedia einen Artikel: Backbone (Telekommunikation). Diese Leitungen bilden das Rückgrat des Internets, ohne sie gäbe es kein Internet in Deutschland.


WI-Heßloch

Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen: in WI-Heßloch gab es nur eine schlechte Internet-Anbindung, da die Vermittlungsstelle in Bierstadt sitzt und von dort die Daten über Kupferkabel bis nach Heßloch und zurück transportiert wurden. Ein Ausbau für Heßloch, analog zum Ausbau in anderen Ortsteilen von Wiesbaden, war nicht rentabel, so sagte man. Hier sprang das Unternehmen inexio ein und führte diesen Ausbau durch: inexio versorgt Heßloch mit Höchstgeschwindigkeits-Internet.

Die Lösung für Heßloch war eine Gasleitung, die an diesem Ort in etwas Entfernung verlegt worden war, und im Rahmen der Verlegung dieser Gasleitung wurde damals auch Glasfaser mitverlegt. Diese Glasfaserleitung wurde angezapft, von dort eine zusätzliche Glasfaserleitung nach Heßloch hinein bis an die Kabelverteiler gelegt und von dort geht es wie gehabt über die Kupferkabel weiter. So erhielt Heßloch schnelles Internet.

Das war nur möglich, weil der Gasversorger neben seiner Röhre für den Transport des Gases auch Glasfaser verlegen ließ.


Wo liegt das Problem ?

Das Problem sind nicht die Fernverbindungen, die Lösung lautet nicht, Glasfaser unter der Autobahn zu verlegen. Zur Verdeutlichung des Problems: ich sitze hier in Erbenheim und schreibe diesen Text, der auf einem Server in den USA liegt. Wie kommt mein Text von Erbenheim in die USA? Und wie kommt der Text aus den USA zu Ihnen auf Ihren Computer? Dazwischen liegen viele Leitungen, die alle schon vorhanden sind, und typischerweise sind das Glasfaserkabel. Aber das letzte Teilstück zu Ihrem Computer ist kein Glasfaser- sondern ein Kupferkabel, und zwar vom Verteilerkasten am Strassenrand bis zu Ihrer Wohnung. Und es gibt für dieses Kabel auch keine alternative Technik, die uns schnelles Internet im Haus ermöglicht.


letzte Meile

Ich möchte auf ein Bild der Deutschen Telekom verweisen6):

In dieser schematischen Darstellung sehen Sie, daß das letzte Teilstück vom Kabelverzweiger7) (die grauen Kästen, die in Wohngebieten am Strassenrand stehen) bis ins Haus hinein mit Kupferkabel realisiert wird. Viele dieser Kupferkabel stammen aus Zeiten, als man an Internet und Glasfaser nicht denken konnte. Und dieses letzte Teilstück fehlt uns beim Ausbau eines schnellen Internets. Die in diesem Bild gezeichneten Wege entsprechend natürlich nicht der Realität: nicht vor jedem Haus steht solch ein Kasten. Schauen Sie sich doch einmal an Ihrem Wohnort um, wo dieser Verteilerkasten steht. Dieses letzte Teilstück, von diesem Kasten bis zu Ihrem Haus, nennt man 'letzte Meile', und daraus können Sie die Längen erkennen. Dieses Teilstück bremst uns im Internet aus, um dieses Teilstück geht es.

In vielen Teile Wiesbadens, aber nicht in allen, hat u.a. die Telekom bereits Glasfaser verlegt, in Heßloch wurde dies 2015 von inexio durchgeführt, in Igstadt fehlt dies auch heute noch. In Erbenheim gibt es dies bereits, dafür wurden die Bürgersteige aufgerissen und Leerrohre verlegt, durch die anchliessend Glasfaserkabel geschossen wurden. Danach wurden die neuen Verteilerkästen neben die alten gesetzt (so sieht das dann aus: DSLAM) und die Kupferkabel aus den alten Kästen umgesetzt auf die Glasfaser in den neuen Kästen. Nur so waren Geschwindigkeiten von 50 MBit/s möglich, Entschuldigung, das heißt natürlich: bis zu 50 MBit/s.

Das Aufgraben des Bürgersteigs in Erbenheim durch ein von der Dt. Telekom beauftragtes Unternehmen verursacht Kosten. Diese Maßnahme hatte nur ein einziges Ziel: Verlegung der Leerrohre/Glasfaser. Könnte man nicht im Rahmen einer Strassenbaumaßnahme, die aus anderen Gründen durchgeführt wird, diese Leerrohre mitverlegen und somit 2 Aufgaben zugleich erledigen? Oder graben wir lieber zweimal die gleiche Strasse auf?

Darum geht es im Gesetzentwurf des Herrn Dobrindt. Die Verlegung von Glasfaser könnte billiger werden durch eine Abstimmung der Baumaßnahmen. Man müsste nicht eigens wegen Glasfaser die Strasse aufgraben, sondern könnte im Rahmen notwendiger Strasenbaumaßnahmen die Glasfaserkabel mitverlegen (oder wenigstens die Leerrohre dafür). Natürlich erhält man auf diesem Wege kein flächendeckendes Netz, manche Teilstrecken und Verbindungen fehlen und müssen dann doch als einzelne Maßnahme verlegt werden. Aber wir wären ein Stück weiter.


Auswirkungen auf Wiesbaden

Dieses Teilstück von Verteilerkasten zum Haus ist zwar nicht lang, typischerweise zwischen 100m und 2 km, aber es betrifft eigentlich alle Wohnungen und Häuser in Wiesbaden. Um schnelle Internet-Leitungen zu verlegen, müsste man überall in Wiesbaden die Strassen aufgraben und diese Kupferkabel durch Glasfaserleitungen ersetzen. Bei der Anzahl Häuser in Wiesbaden wird dies teuer, wie Sie sich vorstellen können.

Durch den Beschluß des EU-Parlaments sollen jetzt bei allen künftigen Strassenbaumaßnahmen die Leerrohre mitverlegt werden, was die Kosten der Baumaßnahme nicht wesentlich erhöht, aber dieses Verlegen der Leerrohre erlaubt später das Verlegen der Glasfaserleitungen. Und bei Neubaugebieten muß gleich von Anfang an Glasfaser verlegt werden.

Für dieses letzte Teilstück ist die Kommune zuständig. Sie muß ihre Planungen anpassen, Ausschreibungen entsprechend modifizieren, die rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen usw. Das wird die Aufgabe des nächsten Stadtparlaments sein, das ja am 6. März neu gewählt wird.

Alle Kommunen stehen vor dieser Aufgabe, hier ein Beispiel einer anderen Stadt, die diesen Weg bereits geht: Gesetz, mit dem die Bauordnung für Wien geändert wird .


Zusammenfassung

Klingt eigentlich vernünftig: Baumaßnahmen koordinieren. Aber warum kommen wir erst jetzt damit? Und wieso brauchen wir dafür die EU? Und warum braucht Herr Dobrindt für die Umsetzung des Beschlusses des EU-Parlaments 2 Jahre?

Diesen Entwurf in der Öffentlichkeit in Verbindung mit der Autobahn darzustellen ist eine grosse Leistung.





Anmerkungen:
1) Sie finden diese Aussagen hier
2) Her finden Sie den Entwurf des Gesetzes: DigiNetzG
4) Sofern ich etwas übersehen habe senden Sie mir bitte eine kleine Mail. Ich prüfe das gerne nach und korrigiere diesen Text entsprechend. Bitte verwenden Sie dazu die Mailfunktion auf der rechten Hälfte dieser Seite.
5) Sie möchten eine solche Leitung mieten? Hier finden Sie entsprechende Angebote: Bandbreiten-Vermietung und LWL-Faservermietung.
6) Diese Darstellung ist © Deutsche Telekom, sie finden diese Grafik hier.
7) Kabelverzweiger habe ich manchmal auch als Verteilerkasten bezeichnet