Freitag, 21. August 2020

Smart City


Nein, dieser Text beschreibt nicht eine Stadt, in die nur noch Autos der Marke Smart einfahren dürfen.

Schlagworte kommen und gehen, und über solche Schlagworte will man etwas verkaufen. Das gilt auch für das Schlagwort "Smart City". In den Bereich Smart City gehören auch Schlagworte wie "Industrie 4.0" oder "Internet der Dinge" (= internet of things = IoT), zumindest in weiten Teilen. Und zu einem Projekt aus dem Bereich Internet der Dinge möchte ich einige Ausführungen machen. Es handelt sich um das Projekt PaxCounter, das ich bereits einmal beschrieben habe (siehe "Menschen zählen").


Smart City in der Politik

Die Politik braucht Schlagworte, erzeugt solche oder hängt sich an auftretende Schlagworte dran. Und so wundert es nicht, daß sich Frau Merkel als Bundeskanzlerin an dieses Schlagwort "Smart City" dranhängte:

Wir haben riesige Möglichkeiten im Bereich des Städtemanagements. Wir haben uns gerade das Thema Smart Cities angeschaut. Dabei gibt es in Deutschland natürlich die Herausforderung, dass es bei uns nicht auf einen Flickenteppich mit lauter Insellösungen hinausläuft, sondern dass wir versuchen, dieses Konzept mit kompatiblen Standards zu verfolgen.

Quelle: Auszug aus der Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim Digital-Gipfel am 29. Oktober 2019 in Dortmund

Zum Abschluss des diesjährigen Digital-Gipfels besichtigte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, begleitet unter anderem von Ministerpräsident Armin Laschet, den Bundesministern Andreas Scheuer, Hubertus Heil und Anja Karliczek, das Gipfel-Exponat „Smart City-Datenplattformen – Digitale Infrastrukturen für intelligent vernetzte Städte und Regionen“ und informierten sich über die verschiedenen Datenflüsse, die bereits heute in Städten und Regionen generiert werden und wie diese durch Smart City-Datenplattformen verarbeitet und aufbereitet werden. Mit dem Exponat bekam die Bundeskanzlerin einen anschaulichen Einblick, wie sowohl Stadtverantwortliche als auch Bürger im Alltag wertvolle Informationen in Echtzeit durch digitale Plattformen im Smart City-Bereich erhalten können.

Quelle: Bundeskanzlerin Angela Merkel besichtigt das Gipfel-Exponat „Smart City-Datenplattformen“

Genug der hohen Politik. Auch auf der kommunalen Ebene wurde dieses Schlagwort schon vorgetragen, und zwar im Kommunalwahlkampf 2016. Im damaligen Wahlprogramm der SPD konnte man lesen:

Formulierung eines digitalen Leitbildes

Wiesbaden braucht eine digitale Gesamtstrategie. Bei der Entwicklung der kommunalen Digitalisierungsstrategie ist es wichtig, dass alle Bereiche des Stadtlebens berücksichtigt werden. Dazu gehören die Bevölkerung, Mobilität, Umwelt, Wirtschaft und Verwaltung. Bei der Entwicklung einer solchen kommunalen Digitalisierungsstrategie auf dem Weg zu einer „Smart City“ wollen wir kompetente Kooperationspartner wie die Hochschule Rhein-Main und innovative Unternehmen unserer Stadt einbinden.

Quelle: Auszug aus dem Text Kommunalwahl in Wiesbaden 2016 hier auf diesem Blog.

Aber ich möchte auch diese Ebene verlassen und zu einem konkreten Projekt kommen. Vielleicht kann ich das Schlagwort "Smart City" dann mit etwas Leben füllen.


Computer

Im Projekt PaxCounter hatte ich einen kleinen Computer eingesetzt, der hier zum Kauf angeboten wurde: Ttgo Esp32 - Paxcounter. Dieser Computer bzw. die darauf laufende Software (zu finden hier: cyberman54 / ESP32-Paxcounter) zählt Smartphones in der Umgebung, sofern bei diesen Smartphones das WLAN eingeschaltet wurde. Und die Anzahl gefundener Smartphones wird weiterverarbeitet, d.h. diese Zahl wird auf eine Speicherkarte geschrieben und zusätzlich per Funk an einen Server geschickt. Auf dem Bild des kleinen Computers sehen Sie eine Antenne, das ist eigentlich das grösste Teil auf dem Bild. Diese dient dazu, die Daten an den Server zu senden.

Dieses Funken an einen Empfänger möchte ich beschreiben, wobei ich die Technik nicht darstellen möchte, denn davon verstehe ich nichts.


LoRaWAN

Funktechniken kennen Sie sicherlich. Radio, Fernsehen (sofern über Satellit), GPS, Handy, Schnurlos-Telefon, usw. Und falls Sie ein modernes Auto besitzen, so hat dieses Auto eine automatische Kontrolle des Reifendrucks. Diese Information wird per Funk von der Felge an einen Empfänger im Fahrzeug übermittelt.

Eine weitere Technik möchte ich Ihnen vorstellen: LoRaWAN. Die Abkürzung steht für Long Range Wide Area Network. Hinter dieser Abkürzung verbirgt sich eine Funktechnik, die relativ grosse Reichweiten überwindet, dabei wenig Strom verbraucht, dafür aber nur wenige Bits pro Sekunde übertragen kann. Mit dieser Technik können Sie diesen Text nicht aufrufen, denn dieser Text umfasst doch wesentlich mehr Bits, als eine Übertragung per LoRaWAN ermöglicht (oder Sie warten recht lange, bis der Text auf dem Bildschirm erscheint). Aber im Rahmen des Projekts PaxCounter werden pro Minute nur einige Bytes übertragen, und dafür reicht dies locker.


Empfänger

Die Daten werden vom PaxCounter gesendet. Dann brauchen wir nur noch einen Empfänger, der die Funksignale entgegennimmt, auswertet und diese irgendwie weiterverarbeitet. Glücklicherweise gibt es mittlerweile in Wiesbaden etliche solcher Empfänger:



Gateways

Diese Empfänger nennt man Gateways und das Bild zeigt eine Übersicht über die Orte und die ungefähre Reichweite der einzelnen Gateways.

Freifunk kennen Sie? Das sind Freiwillige, die ein WLAN anbieten, das Sie nutzen können, ohne Kosten und ohne Verpflichtungen. Das ist in einer Stadt wie Wiesbaden wichtig, da die Stadtpolitik bis(aus Kolesch, D. et.al (2019): Die widerstandsfähige intelligente Stadt. - https://sensare.infralab.berlin/tag-der-hydrologie-2020/)her nichts dergleichen .... aber das ist ein anderes Thema.

Und genau nach diesem Prinzip werden auch die Gateways betrieben, vereinzelt sponsern auch Firmen ein solches Gateway. Weltweit gibt es ca. 12.000 dieser Gateways, in Deutschland sind dies über 2.000 und in Wiesbaden etwa 15, die auf obiger Karte dargestellt wurden. In meinen Tests wurde irgendeines dieser Gateways verwendet, wobei es sich in einem Test um das Gateway handelte, das in WI-Erbenheim vom Makerspace Wiesbaden betrieben wird.


The Things Network

Nun wurden die Daten vom Gateway empfangen, und dann?

Auch in diesem Bereich sind Freiwillige vorgeprescht und übernehmen die Aufgabe, eine Entwicklung voranzutreiben. Und so entstand The Things Network. Sie stellen eine Infrastruktur zur Verfügung (z. B. Server), die man nutzen kann, und sofern man dies in kleinem Umfang tut sogar kostenlos. Und genau einen solchen Server hat mein PaxCounter genutzt, d.h. eines der Gateways in Wiesbaden hat die Daten meines PaxCounters empfangen und weitergeleitet an TheThingsNetwork (vermutlich steht deren Server in den Niederlanden). So sahen die Daten dort aus:



Weitere Verarbeitung

Jetzt landen die Daten in den Niederlanden auf einem Server. Dort kann man sich diese Daten anzeigen lassen, aber der TTN-Server vergisst die Daten wieder, zumindest in der kostenfreien Version. Aber man kann diese Daten weiterleiten an einen anderen Server (d.h. an ein anderes Unternehmen). In meinem Fall habe ich Tago.IO gewählt, die eine kostenfreie Nutzung für Studenten und Entwickler anbieten.

Und so sahen die Daten des PaxCounters bei Tago.io aus:



Auswertung

Auf der Graphik sehen Sie den Verlauf der Anzahl WLANs bei einer Veranstaltung. Daraus kann man auf die Anzahl der bei dieser Veranstaltung anwesenden Menschen schliessen.

In Freiburg wurden im Rahmen eines Projekts mehrere dieser Geräte bereits eingesetzt:

„Wie können die touristischen Besucher Freiburgs „smart“ gelenkt werden, um Warteschlangen und überfüllte Plätze, Straßenbahnen etc. zu vermeiden?“.

Quelle: Wohin solls gehen? Menschen lenken mit dem Paxcounter


Sensoren

Dieses Beispiel beschreibt eine mögliche Anwendung (den PaxCounter), der in das grosse Schlagwort Smart City fällt. Aber es gibt viele weitere mögliche Anwendungen.

Zu Smart City gehören Sensoren (=Meßgeräte), die Daten erfassen und diese weiterleiten. Solche Sensoren können z.B. die Temperatur messen, die in der Kühltheke eines Supermarktes herrscht. Beim ansteigen der Temperatur liegt ein Versagen der Kühlung vor und der Sensor sendet eine entsprechende Warnung an einen Server, denn es muß etwas geschehen, um die Ware zu retten. Eine ausführliche Beschreibung einer solchen Anwendung finden Sie hier: LoRaWAN based Food & Medicine Refrigeration Monitoring System.

Ein anderes Beispiel: Auf dem Parkplatz von Aldi in der Mainzer Strasse finden Sie auf jedem Stellplatz eine kleine Vorrichtung:


Über dieses Teil wird gemessen, ob ein Parkplatz von einem Auto belegt ist. Sofern ein Parkplatz länger als eine bestimmte Zeit benutzt wird, kostet dies eine Strafe, denn der angebotene Parkplatz dient nicht als Park-and-Ride-Parkplatz sondern soll den Kunden des Marktes zur Verfügung stehen. Die Belegung eines Parkplatzes kann man über Ultraschall erkennen, analog zur Technik der Abstandserkennung, die in viele Autos eingebaut werden (=Piepser, siehe Einparkhilfe). Und der Status wird dann per Funk an einen Server geschickt, der weitere Aktivitäten veranlasst. Dieses Versenden des Status geschieht vermutlich per LoRaWAN.

Ein weiteres Beispiel: Einmal im Jahr, typischerweise im November, klingelt ein Mitarbeiter von ESWE Versorgung bei mir an der Haustür. Dieser Mitarbeiter nimmt die Zählerstände von Gas, Wasser und Strom auf, die zur Abrechnung benötigt werden. Diesen Vorgang wird man zukünftig automatisieren, d.h. die Übermittlung dieser Daten erfolgt dann per LoRaWAN an ein entsprechendes Gateway.

Eine weitere Anwendung wird gerade in Berlin erprobt:
Aktuell wie auch zukünftig nehmen die Starkregenereignisse in Deutschland deutlich zu und die Herausforderungen zum sicheren Weiterbetrieb der Verkehrsmittel und Bewältigung von Hindernissen auf Verkehrsflächen im Ereignisfall steigen. Ereignisse wie in Münster 2014, Dortmund 2015 oder Simbach / Berlin 2017 machen die Intensitäten und Ausmaße deutlich.

Kommunen und Abwasserverbände sind immer häufiger mit Überflutungen im Stadtgebiet konfrontiert. Die Berliner Wasserbetriebe koordinieren das Forschungsprojekt SENSARE mit dem Ziel, die Handlungsfähigkeit aller Verkehrsteilnehmer bei Überflutungsereignissen durch Starkregen im urbanen Raum zu verbessern.

Quelle: SENSARE

Auch in Wiesbaden gab es schon Starkregen mit Überschwemmungen. So war einmal die Tiefgarage am Bowling Green im Untergeschoss vollgelaufen. Und so will man in Berlin das Problem angehen:


Auf dem Bild sehen Sie div. Sensoren, die Daten erfassen (u.a. den Wasserstand) und diese Daten per LoRaWAN weiterleiten, damit die Daten ausgewertet werden können. Das Bild stammt aus: Kolesch, D. et.al (2019): Die widerstandsfähige intelligente Stadt. (https://sensare.infralab.berlin/tag-der-hydrologie-2020/).


Fazit

Unter Schlagworten wie "Smart City" oder "Internet of things" sind viele Anwendungen denkbar, etliche davon werden auch realisiert werden. Die Menge dieser Sensoren, ihrer Verknüpfungen und die Auswertung der gelieferten Daten werden Auswirkungen auf unser Leben haben. Dies können positive, aber auch negative Auswirkungen sein. Positiv kann es sein, daß frühzeitig Warnungen vor Gefahren ausgesprochen werden, Negativ ist es, wenn Ihnen ein Computer sagt, daß Sie bei einer Versicherung einen höheren Beitrag zahlen müssen, weil Sie 5kg zuviel wiegen.

Stellt sich die Politik diesem Thema? Wie gestaltet die Politik die Rahmenbedingungen, in denen sich Zukunft entfalten kann? Weder auf der hohen Ebene (EU, Bundesregierung) noch auf der unteren Ebene (Stadt Wiesbaden) sehe ich da eine entsprechende Initiative.

Auch auf der unteren Ebene wird die hier beschriebene Technik eingesetzt werden, denn in naher oder ferner Zukunft werden die Zählerstände für Gas, Wasser und Strom über eine Funktechnik (LoRaWAN?) ausgelesen werden. Vermutlich eines Tages sogar in Wiesbaden.