Donnerstag, 10. Februar 2022

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit


Zu einer Demokratie gehört Öffentlichkeit. Wahlen finden in der Öffentlichkeit statt, Auszählung der abgegebenen Stimmen, Sitzungen des Parlaments und der Ausschüsse sind ebenfalls öffentlich. Aber offensichtlich ist dies nicht immer gegeben.

Am 1. Februar 2021 fand eine Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Beschäftigung, Digitalisierung und Gesundheit statt. Hier finden Sie die Einladung zu dieser Sitzung:


Sie finden dies alles hier: https://piwi.wiesbaden.de/sitzung/detail/2803802 Ausschuss f. Wirtschaft, Beschäftig., Digitalis., Gesundheit (in PIWi).


Online-Videokonferenz

Bitte beachten Sie insbesondere diesen Teil auf der ersten Seite:


Die Veranstaltung findet also als Videokonferenz statt. Das ist kein Problem, denn in den vergangenen zwei Jahren wurden viele Meetings als Videokonferenz durchgeführt. Also habe ich mich bei der Stadt Wiesbaden gemeldet und um Zusendung des Links gebeten, da mich diese Sitzung interessiert (auf der Tagesordnung dieser Sitzung finden Sie etliche Anträge zum Thema Digitalisierung). Natürlich wollte ich nur als Zuschauer (bzw. Zuhörer) teilnehmen, aber bei der Software für Videokonferenzen kann der Administrator die Mikrofone der Teilnehmer stumm schalten. Also alles kein Problem (so denkt man sich das als kleiner ITler). Postwendend erhielt ich eine Antwort, daß eine Teilnahme meinerseits aus Kapazitätsgründen nicht möglich sei.


Kapazitätsgründe

Also reicht die Kapazität nicht aus, einen weiteren Teilnehmer (d.h. mich) zuhören zu lassen.

Laut Einladung wird eine Software der Firma Visavid eingesetzt. Das Unternehmen stellt das Produkt dar mit folgenden Aussagen:

Quelle: Homepage der Fa. Visavid 

Der Hersteller des Tools behauptet also, daß das Tool hochskalierbar sei. Sie kann also viele Teilnehmer verarbeiten. Bei einer Sitzung dieses Ausschusses sind typischerweise die 15 Vertreter des Ausschusses anwesend, dazu kommen noch etliche Vertreter aus der Stadtverwaltung plus einige wenige Zuhörer. Insgesamt, so schätze ich, sind vielleicht 25 - 30 Personen anwesend. Und sofern man nicht gerade mit Computern arbeitet, die 20 oder mehr Jahre auf dem Buckel haben, ist diese Belastung machbar. Es finden viel grössere Online-Veranstaltungen statt, aber offensichtlich nicht unter der Verantwortung der Stadtpolitik in Wiesbaden.


HGO

Ein Kernelement der Demokratie ist die Öffentlichkeit. Nichts soll oder darf unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschieden oder gemauschelt werden, denn ein Ausschluß der Öffentlichkeit ist der Nährboden für Verschwörungstheorien.

Die Arbeit der Stadtpolitik wird festgelegt u.a. durch die hessische Gemeindeordnung (HGO). In dieser findet sich folgende Aussage:

Quelle: HGO $52 Öffentlichkeit 

Abstimmungen können Online nicht erfolgen, da wir erst seit 2 Jahren verstärkt Videokonferenzen haben. In dieser Zeit hat die hessische Landesregierung und das Parlament des Landes Hessen es noch nicht geschafft, diese Möglichkeit in die HGO einzubauen und weitere Gesetze entsprechend anzupassen.

Aber mich interessierte weniger die Abstimmung sondern die Diskussion. Welche Argumente werden vorgebracht für oder gegen einen Antrag? Wie wird auf Argumente reagiert? All dies findet bei dieser Sitzung des Ausschusses hinter verschlossenen Videokameras statt, somit kann ich Ihnen nicht berichten.


Fazit

Rechtlich darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, von begründeten Ausnahmen abgesehen. Und technisch ist es machbar, eine interessierte Öffentlichkeit zuhören zu lassen. Und der Hersteller der Videokonferenz-Software bietet eine solche Lösung für 100 Teilnehmer an1).

Was hindert die Stadtpolitik daran?

Die Pandemie läuft seit etwa 2 Jahren. Viele Institutionen haben auf Homeoffice umgestellt, auch die Stadt Wiesbaden. Und auch auf Videokonferenzen. Aber die Stadt Wiesbaden schafft es nicht, eine solche Sitzung per Videokonferenz mit entsprechender Leistungsfähigkeit anzubieten und durchzuführen. Kapazitätsgründe! Deutlicher kann man den Stand der Digitalisierung und seiner eigenen Leistungsfähigkeit nicht beschreiben.

Wobei die Stadtpolitik selbst sich für die Digitalisierung lobt:

Die städtische Digitalisierung betreffend ist der Status Quo in Wiesbaden besser als in vielen anderen deutschen Kommunen.

Quelle: aus dem Antrag #4 zur Sitzung am 1. Februar 2022

Es mag sein, daß der Stand in Wiesbaden besser ist als in vielen anderen Städten, aber gut ist dieser Stand nicht. Und er ist weit entfernt von dem, was heute möglich ist.


Nachtrag

Zur Qualität der Software der Fa. Visavid fand ich folgenden Text:

Auf Lücken in Apps und Schnelltestzentren folgt nun eine im Videokonferenzsystem für Bayerns Schulen: Inkompetente Behörden sind schuld an der schlechten Coronasoftware, sagt die Sicherheitsforscherin Lilith Wittmann.

Wittmann: Und besonders krass daran ist, dass ich durch die Lücke sogar unsichtbar teilnehmen konnte: Die anderen Teilnehmenden konnten mich nicht sehen, ich konnte aber alles sehen und hören und auch die Dokumente herunterladen, die während einer solchen Konferenz geteilt werden. Nach meinem Hinweis wurde die Lücke inzwischen geschlossen.

Quelle: Interview mit Lilith Wittmann
Zur Person: Lilith Wittmann in der Wikipedia

Und aus bayrischen Schulen habe ich auch nichts Positives über diese Software gehört.




Anmerkungen:
1) Zu finden hier: Raum V-20, V-50 oder V-100