Dienstag, 15. November 2022

"Öffentliches WLAN weiter ausbauen"


Beobachtet man die Stadtpolitik, so traut man manchmal seinen Augen nicht. Da steht doch wahrhaftig das Wort WLAN in einem Papier. Aber langsam, also von vorne:

Der Ausschuss für Wirtschaft, Beschäftig., Digitalis., Gesundheit des Stadtparlaments tagte am 8. November. Auf der Tagesordnung fand man folgenden Punkt:


Neugierig geworden schaut man sich den Antrag an und findet diesen Inhalt:


Oh, man beschäftigt sich in der Stadtpolitik in Wiesbaden mit dem Thema WLAN.


Diskussion

Die Diskussion zu diesem Antrag verlief einseitig, es gab keine Gegenargumente. Insbesondere kam nicht das Argument "Sollen sich die Leute doch eine entsprechende SIM-Karte holen, kostet ja nicht viel", das in der Vergangenheit bei Diskussionen zu diesem Thema immer vorgetragen wurde. Auch das Argument "Kommunikation ist keine Aufgabe der Stadt Wiesbaden" wurde in dieser Diskussion nicht vorgebracht, auch dieses Argument kam in der Vergangenheit regelmässig.


Abstimmung

Der Antrag wurde einstimmig angenommen. Im April 2023 soll der Magistrat dem Ausschuss berichten, was er in dieser Angelegenheit vorschlägt.


Anmerkungen zum Antrag

Das Internet wird jetzt als Teil der Infrastruktur einer Stadt gesehen. Für diese Aussage wurde man früher belächelt oder ausgelacht.

Und das vorhandene (bescheidene) Angebot an WLAN wird genutzt, sogar in Wiesbaden. Warum hat uns das niemand früher gesagt? Als Beleg zitiert man die Nutzerzahlen des WLAN-Angebotes der Stadt Wiesbaden: 450.000 Nutzer in den ersten 11 Monaten. Diese Zahlen sind jedoch vom August 2019, sind also schon ein paar Tage alt. Aber neuere Zahlen hat man nicht.


Blick zurück

Den ersten Text zum Thema WLAN habe ich hier auf dem Blog im November 2015 veröffentlicht, also vor genau 7 Jahren. Viele Argumente wurden dargestellt, und ich könnte auf viele Texte dieses Blogs verweisen und diese Texte erneut präsentieren, denn das Thema WLAN in dieser Stadt ist nicht neu.

Wahlkampf 2011

Die erste Erwähnung des Wortes WLAN in der Stadtpolitik fand ich im Wahlprogramm der SPD zur Kommunalwahl 2011:

Die SPD Wiesbaden wird prüfen, ob an markanten Orten (Hauptbahnhof, Parkanlagen, Rathaus, Freibäder) der Stadt kostenlose W-LAN-Zugänge zum Internet zur Verfügung gestellt werden können.

Quelle: WIESBADEN GERECHT Das Programm der Wiesbadener SPD Kommunalwahl 2011, S. 36

Gut, das war es dann aber auch. In der Wahlperiode von 2011 bis 2016 tat sich dann nichts.

Wahlkampf 2016

Bei der Kommunalwahl 2016 überschlugen sich die Parteien mit Stellungnahmen zum Thema Netzpolitik (damals nannte man es noch nicht Digitalisierung): Kommunalwahl in Wiesbaden 2016. Da sollte man doch meinen, wenn praktisch alle Parteien für den Ausbau sind, daß sich etwas bewegen würde. Nun, es gab ein WLAN rund um das Rathaus. Dieses war so, daß max. 10 Personen dieses WLAN nutzen konnten, mehr ging kaum. Das war so peinlich, daß es selbst der Stadtpolitik auffiel und man es verbesserte. Stellen Sie sich einmal eine Veranstaltung auf dem Schloßplatz vor, oder einen Markttag. Wieviele Menschen kommen da zusammen? Mittlerweile ist es besser geworden. Auf auf diesem Blog war die Leistungsfähigkeit des WLANs am Rathaus ein Thema (u.a. hier: Rund ums Rathaus).

Wahlkampf 2021

Im Jahre 2021, also vor ca. 18 Monaten, fand die nächste Kommunalwahl statt. Man sollte also mal nachsehen, welche Punkte aus den jeweiligen Wahlprogrammen in diesen 5 Jahren umgesetzt wurden. Da kommt Ernüchterung auf: abgehakt?.

Für den Wahlkampf 2021 habe ich die Aussagen zu IT-Themen in den Wahlprogrammen nicht mehr hier auf dem Blog dargestellt, auch weil die Themen zu diesem Bereich keine grosse Rolle mehr spielten. Aber so ganz verkneifen konnte ich mir dann die Sache doch nicht: Wahlkampf-Splitter. Ach, was waren sie so erfolgreich, u.a. mit WLANs. So z.B. die CDU, die erfolgreich WLAN-Hotspots in allen Stadtteilen durchgesetzt hat. Oder die SPD, deren Vertreterin eine Forderung aufstellte, die seit 20 Jahren erfüllt ist. Und die Grünen, die eine Veranstaltung als Videokonferenz anboten, an der ich leider nicht teilnehmen durfte (Technik funktionierte nicht). Und mehrere Parteien, die das Konzept des Querverweises (sprich: Link) zwar erwähnen, aber nicht umsetzen.

Wahlkampf 2026

Man könnte die Forderung nach Infrastruktur/Digitalisierung/öffentliches WLAN in die entsprechenden Programme zur Kommunalwahl 2026 aufnehmen. Passt sicher noch.

Ach ja.


100.000 Euro

Aber etwas ist doch passiert in diesen Jahren. Im Jahre 2017 hat das Stadtparlament 100.000€ für den kommenden Haushalt angemeldet, jeweils die Hälfte für 2018 und 2019. Damit sollte das öffentliche WLAN geplant bzw. Aktivitäten koordiniert werden: Einhunderttausend Euro. Was ist dabei herausgekommen? Was wurde geplant, was wurde koordiniert? Darauf könnte man doch heute aufbauen. Aber noch warten wir auf die Ergebnisse.

Mit 100.000€ kann man eine Menge anfangen, aber die Stadt Wiesbaden natürlich nicht. Dieser Betrag war ja nur für Planung und Koordinierung, nicht für den Aufbau von Hotspots vorgesehen.


Kosten eines WLAN-Hotspots

Für die Stadt Wiesbaden kostet die Einrichtung eines WLANs im Durchschnitt 20.000€. Sie haben ein WLAN zu Hause? Glückwunsch, daß Sie sich ein WLAN leisten können.

In den Diskussionen zum Thema WLAN erkannten die Vertreter der Stadt wohl, daß diese Zahl völlig überzogen ist, so daß man diese Zahl auf 10.000€ reduzierte, um bald danach wieder auf 15.000€ angehoben zu werden.

Die Zahlen klingen überzogen? Ich möchte diese Zahlen belegen:
  • für die Installation eines WLANs rechnet die Stadt Wiesbaden mit einmaligen Kosten in Höhe von 15.000 € im Durchschnitt pro Installation
  • für den laufenden Betrieb des Internetanschlusses fallen pro Jahr 20% dieses Betrages an, d.h. 3.000 € pro Jahr je WLAN
Das alles können Sie hier nachlesen: Premium-WLAN für Wiesbaden

Zu den Kosten eines WLANs herrschten in dieser Stadt schon eigentümliche Vorstellungen.


Tourismus

Die Notwendigkeit eines WLANs für eine Stadt wie Wiesbaden stand schon 2015 ausser Zweifel, denn bereits 2015 stellte man im Hessischen Landtag in einer Anhörung fest:

Zu Beginn der Anhörung machten der Hessische Städtetag und der Hessische Städte- und Gemeindebund deutlich, dass eine angemessene WLAN-Versorgung für den Tourismus unerlässlich ist, aber auch einen Wettbewerbsvorteil bietet.

Quelle: http://www.claudiakilian.de/anhoerung-im-landtag

Und da bietet Wiesbaden wenig an, auch heute noch. Andere Orte sind da weiter, haben ja auch früher angefangen, während Wiesbaden bis heute schläft. Hier einige Beispiele für WLANs im Urlaub:

um nur einige Beispiele zu nennen.

Schauen Sie sich bitte in Ihrem Urlaubsort einmal um, dann sehen Sie, welche WLAN-Angebote es dort gibt.

Im November 2017 schrieb ich auf diesem Blog:

Jordanien

Vor einigen Tagen erhielt ich per Mail folgendes Bild:

© T. Weidenhaus, aufgenommen am 7. 11. 2017 um 12:08 Uhr im Wadi Musa in Jordanien

Jordanien hat nur etwa 1,1% der Wirtschaftsleistung Deutschlands, aber trotzdem gibt es in Jordanien dieses WLAN. Was in einem Tal im armen Jordanien geht, geht im reichen Wiesbaden noch lange nicht.


Ein kleines Wüstenkaff in Jordanien konnte im Jahre 2017 so etwas anbieten. Die grosse Stadt Wiesbaden konnte das damals nicht und kann es auch heute nur eingeschränkt.


Freifunk in Wiesbaden

In Wiesbaden gibt es eine Gruppe, die sich den Aufbau eines freien WLAN-Netzes zum Ziel gesetzt hat: Freifunk in Wiesbaden. Aktuell gehören zum Freifunk-Netz in Wiesbaden fast 200 Hotspots, dazu gibt es weitere Hotspots von Freifunk in Mainz, Bingen, ..... Bitte vergleichen Sie diese Zahl mit der Zahl der Hotspots, die die Stadt Wiesbaden in den vergangenen Jahren hat aufbauen lassen: 15.

Freifunk kann WLAN-Netze aufbauen und betreiben. An einigen Beispielen möchte ich dies verdeutlichen.

Filmnächte auf den Reisinger-Anlagen

Auf den Reisinger-Anlagen finden im Sommer immer Filmvorführungen statt, wobei Freifunk für das WLAN auf diesem Platz sorgt. Auch hier wird das WLAN genutzt (siehe: "Gibt es hier WLAN ?").

Wein-LAN

Um die Diskussion zu diesem Thema voranzutreiben und belastbare Zahlen zur Nutzung zu bekommen, haben wir in Erbenheim einen Versuchsballon gestartet: ein WLAN am Erbenheimer Weinstand (mit Technik von Freifunk). Zum ersten Mal fand diese Aktion in 2016 statt (siehe: Wein-LAN) Bis heute wurde diese Aktion 11 mal durchgeführt, zuletzt im September 2022. Jede dieser Aktionen wurde hier auf diesem Blog beschrieben. Insbesondere können Sie nachlesen, in welchem Umfang das angebotene WLAN am Weinstand genutzt wurde. Dazu schauen Sie bitte auf dieser Seite im Blog-Archiv nach dem Stichwort Wein-LAN.

Eigentlich gehört an jeden Weinstand ein öffentliches WLAN. Im Rheingau hat man damit begonnen (siehe: WLAN am Weinstand), in Wiesbaden denkt man nicht einmal darüber nach. Und eigentlich gehört dazu nicht nur ein WLAN, sondern man benötigt eine Übersichtsseite mit allen Weinständen der Region, jeweils mit den Angeboten samt Preisen des aktuellen Winzers. Und natürlich gehört dazu eine Webcam, damit man einen Blick auf die Örtlichkeit werfen kann. Praktisch alle Urlaubsorte bieten im Internet solche Bilder via Webcams an, aber natürlich nicht für Wiesbaden. Nur auf das Rheinufer in Biebrich kann man einen Blick werfen, denn dort gibt es eine von privat betriebene Webcam (siehe: Rheinufer in Biebrich). So etwas kann man in Wiesbaden noch nicht einmal diskutieren.

Hans-Bredow-Strasse

In der Flüchtlingsunterkunft in der Hans-Bredow-Strasse wurde von Freifunk ein WLAN-Netz aufgebaut. Und in diesem Netz waren gleichzeitig bis zu 250 Smartphones angemeldet. Leider konnte die Stadt Wiesbaden für die Anbindung dieses Netzes ans Internet nur eine 16 MBit/s-Leitung zur Verfügung stellen, so daß Freifunk sich hier einiges einfallen lassen musste, um diese Teilnehmer einigermassen vernünftig anzubinden. Vermutlich haben Sie als Privatperson eine Internetanbindung, die besser ist als 16 MBit/s. Eine Leitung mit dieser Geschwindigkeit für 250 Teilnehmer .....

Kosten

In diesem Text hatte ich Zahlen zu den Kosten eines WLAN-Hotspots angeführt, die auf Angaben der Stadt Wiesbaden beruhten. Wenn man diese Zahlen auf das Freifunk-Netz in Wiesbaden anwendet, ergibt sich folgende Aussage:
  • Installation der ca. 200 Knoten: (ca.) 200 Hotspots * 15.000€ je Hotspot, ergibt ca. 3 Millionen € (einmalig)
  • jährliche Unterhaltskosten der 200 Knoten: 20% dieser Summe, ergibt ca. 600.000€ (jährlich)

Schön, daß Freifunk einer Stadt Wiesbaden einen solchen Betrag "spendet". Aber Freifunk beruht auf Freiwilligkeit, Freifunk hat keine festen Einnahmen. Woher sollen diese Gelder kommen? Und deswegen behaupte ich, daß die Zahlen der Stadt Wiesbaden keinen Bezug zur Realität haben.


Fazit

Vor 10 Jahren war die Forderung nach einem öffentlichen WLAN eine gute Idee, aber heute .... Heute sollte man so etwas nicht fordern sondern haben.

Passiert in dieser Frage jetzt etwas? Vermutlich nicht, denn im Mai 2023 wird der Magistrat einen Bericht vorlegen, der dann in einer Ausschusssitzung diskutiert werden wird. Danach wird man schauen, wieviel Geld man übrig hat und woher man Zuschüsse für eine solche Aktion bekommen kann. Dann wird man vielleicht einen Bedarf für den Haushalt 2024/25 anmelden und hoffen, daß dieser Haushalt genehmigt werden wird. Nach den Erfahrungen mit Haushalten und Genehmigungen wird man vor dem Mai 2024 nicht mit dem Ausbau des WLAN-Netzes beginnen können, sofern man dies überhaupt will.

2011 wird die Forderung zum ersten Mal erhoben, 2024 wird sie dann erfüllt, hoffentlich.

Würde man einen Stadtpolitiker an einem Langstreckenlauf teilnehmen lassen, würde er von einer Schnecke überrundet.